Der Weg zurück ins Leben-Podcast – von und mit Christina Bolte
Pilgern – damals und heute
Dieses Jahr habe ich Jubiläum! Denn dieses Jahr ist es zehn Jahre her, seit ich das erste Mal auf dem Jakobsweg unterwegs war.
Damit bin ich zwar sicher kein Pionier, und zehn Jahre sind auch sicherlich noch kein Zeitraum, der es rechtfertigt, einen “Damals-und-Heute-Vergleich” zu ziehen.
Dennoch denke ich jedes Mal, wenn ich in den letzten Jahren mal wieder auf einem der verschiedenen spanischen Wege unterwegs war, an meinen ersten Camino zurück. Und ich denke daran, wie sich seitdem nicht nur in der Welt, sondern auch auf dem Camino einiges verändert hat. Meine Gedanken dazu möchte ich gerne mit Dir teilen.
Diese Folge hier anhören:
Folgendes sind die 3 Veränderungen, die mir am meisten auffallen:
- Das Pilgern auf dem Jakobsweg erfreut sich steigender Beliebtheit, deshalb sind zunächst einmal die gestiegenen Pilgerzahlen das Augenscheinlichste:
Seit 2006 ist – Hape Kerkeling sei Dank – die Zahl der in Santiago de Compostela ankommenden Pilger sprunghaft angestiegen. Auch ich bin einer von denen, die sich aufgrund der Lektüre seines Buches “Ich bin dann mal weg” auf den Weg machten.
Während 2007 “nur” etwas über 114 Tsd. Pilger in Santiago registriert wurden, waren es 2016 mit knapp 278.000 Pilgern bereits fast 2,5 Mal soviele. Aus welchen Ländern diese kamen & auf welchen Wegen sie unterwegs waren, das kannst Du im Podcast nachhören. Oder Du kannst sie hier in dieser Statistik auf Basis der Daten des Pilgerbüros in Santiago nachlesen, in der ich diese Werte gefunden habe.
- Damit sehr eng zusammen hängt dann der zweite große Unterschied, der mir ins Auge fällt: Das Internet hat auch vor dem Jakobsweg nicht Halt gemacht. Wieso sollte es auch, er ist ja nicht aus dieser Welt…
2007 traf ich auf dem Camino eine ziemlich große Anzahl von Menschen, die mir berichteten, sie hätten ihr Mobiltelefon ganz zu unterst in ihren Rucksack gesteckt und mir rieten, ich solle das doch auch tun. Damals war ich von dem Vorschlag nicht so begeistert, wie ich in einer Anekdote in meinem Buch Burnout – Vom Jakobsweg zurück ins Leben beschrieben habe.
In meiner damaligen Situation war es mir nur schwer möglich, den Jakobsweg als bewußte Auszeit vom Alltag zuhause zu nutzen. Ich konnte auch nicht den gegenwärtigen Moment bewußt und mit allen Sinnen wahrnehmen und genießen. Denn damals war ich lieber mit den Gedanken schon zehn Schritte im Voraus als im gegenwärtigen Moment. Heute wünsche ich mir mehr solche Momente, denn ich habe gemerkt, dass ich damals nie wirklich irgendwo wirklich “angekommen” bin. Heute erscheint mir ein solcher Rat, wie ich ihn damals erhielt, allerdings undenkbar! Nicht nur ist das Vorhandensein von WLan und Computer mittlerweile für viele Menschen ein Auswahlkriterium für Cafés, Restaurants und Unterkünfte geworden. Auch auf die Bewertungen in verschiedenen Portalen wird zunehmend geachtet.
Darüber hinaus ist es heute gang und gäbe, vorab in manchen Unterkünften Zimmer bzw. Betten zu reservieren. Auch ich muss gestehen, dass ich mich im April – es war völlig überlaufen in der Karwoche! – auf dem Camino Inglés in einem Ort einen Tag vor Santiago ohne öffentliche Herberge von einigen Pilgerkollegen habe kirre machen lassen. Auf seine Frage, in welcher Unterkunft ich übernachten würde, antwortete ich ihm: “Keine Ahnung, das werde ich dann schon sehen”. Worauf hin er mich entgeistert anschaute und meinte, ich müsse unbedingt irgendwas reservieren. Denn manche Herbergen seien schon seit Tagen ausgebucht. Nun ja, wie sich herausstellte, war es für mich als Einzelreisende kein Problem. Aber in Gruppen ab 2-3 Personen war es schon nicht mehr ganz so einfach…
Vor 10 Jahren habe ich das deutlich anders erlebt. Zum einen steckten damals diverse Bewertungs-portale noch in den Kinderschuhen. Daher orientierte man sich eher an der Auswahl im Reiseführer, wenn es überhaupt eine Auswahl gab. Oder man freute sich auf das, was kam und nahm es wie es war, wenngleich manchmal auch nur mit Murren. Falls es einen öffentlichen Computer gab, musste man (wie bei den Duschen auch) früh dran sein. Falls man “zu spät” war, musste man etwas warten, damit man in Kontakt mit “der Welt da draussen” bleiben konnte.
- Von den Menschen, die ich 2016 oder Anfang diesen Jahres unterwegs getroffen habe, nutzen viele das Internet als Navigationsgerät. Das hat mich persönlich ziemlich belustigt. Denn an den meisten Stellen ist ja der Weg recht gut mit gelben Pfeilen und/oder Muschel-Schildern markiert. Und diese sind ja auch meistens recht gut zu sehen, wenn man mit einigermaßen offenen Augen durch die Gegend läuft.
So hatte ich mitunter den Eindruck, dass manch ein Pilger vor lauter Navi und Facebook gucken genau das verpasst hat, was sich ihm unterwegs an schönen Augenblicken und Gesprächen so geboten hat: Das Leben & die Gegenwart.
Natürlich kann und soll jeder für sich entscheiden, ob und in welchem Umfang er Handy & Internet auf seinem Pilgerweg nutzen möchte. Manchmal, v.a. in Notsituationen, sind Mobiltelefone ja auch lebensrettend. In vielen Situationen aber eben auch nicht.
Daher finde ich, dass eine Pilgerwanderung auch eine gute Gelegenheit sein kann, um sein Alltags- und Konsumverhalten durch eine bewusste Unterbrechung mal einer kritischen Beobachtung zu unterziehen.
Abschließend möchte ich noch ergänzend, dass es sich hierbei nicht um eine Wertung handelt. Sondern es sind lediglich meine persönlichen Beobachtungen und Reflexionen. Natürlich gibt es nichts auf dieser Welt, auch nicht das Internet, das nur Vor- oder nur Nachteile hat.
Wie bist Du auf dem Jakobsweg unterwegs (gewesen) – und wie gehst Du durch Dein Leben?
Findest Du bestimmte Parallelen, wenn Du Dich dieser Frage widmest? Oder eben genau das Gegenteil davon?.
Noch viel wichtiger finde ich die Frage, ob Du mit dem, was Du unterwegs erlebst, glücklich bist.
Nun freue ich mich mit dieser Frage auf eine angeregte Diskussion zu dem Thema!