Wo Du in Corona-Zeiten noch Pilgern kannst

Das hat es seit den 1930ern nicht mehr gegeben, dass quasi der Jakobsweg offiziell “geschlossen” wurde. Angesichts des Corona-Virus hat die spanische Regierung einen nationalen Notstand ausgerufen. Deshalb ist von der Kathedrale in Santiago de Compostela bis zur einfachsten Unterkunft alles geschlossen.
Aber ungewöhnliche Zeiten – wie diese, denen uns das Corona-Virus gerade weltweit aussetzt – erfordern eben ungewöhnliche Maßnahmen, auch wenn diese für den einen oder anderen möglicherweise unverhältnismäßig wirken: Bei näherer Betrachtung ist es aber logisch, gerade die Unterkünfte zu schließen, denn v.a. in Pilger-Hostels und Bars kommt man sich – und vor allem anderen – bekanntlich ziemlich nahe. Beherbergungs-betrieben, die sich dem Verbot, Pilger aufzunehmen, widersetzen, drohen massive Geldbußen.

Frust ist verständlich

Klar finde ich verständlich, dass jemand, der wörtlich oder im übertragenen Sinne Haus & Hof (Job) aufgegeben hat, um sich endlich 2020 seinen lange geplanten Traum vom Jakobsweg zu erfüllen, frustriert sauer, wütend oder enttäuscht ist.
Mir erging es zugegebenermaßen ähnlich, denn seit gut 2 Jahren konnte ich selbst auch nicht mehr auf mehr als 3-tägige Pilgerwanderungen gehen, weil meine schicke Knie-Arthrose, die mich bereits früher für längere als 10-tägige Pilgerepisoden disqualifizierte, mich nun auch noch weiter einbremste.
Nun wollte ich es dies Jahr endlich wieder wagen, Ende März für zwei Wochen auf den Israel National Trail zu gehen und war schon voll Euphorie und Vorfreude. Ungefähr so lange, bis Israel am 4. März auf die Idee kam, die Grenzen für Ausländer zu schließen mit der Folge, dass auch sämtliche Flüge annulliert wurde.

So war ich selbst eben auch eine ganze Weile ziemlich enttäuscht und frustriert. Das machte sich bei mir, wie so öfters, in fortgeschrittenem Aktionismus (“schnell noch schauen, wohin ich stattdessen fliegen könnte”) bemerkbar. Zum Glück fiel mir relativ schnell auf, dass das zu meiner inneren Stimme gar nicht stimmig war, was sich später mittels weiterer Reiseverbote ja dann auch im Außen widerspiegelte.

Mittlerweile denke ich jedoch, dass die zur Eindämmung des Virus (oder zumindest zur Verzögerung der Ausbreitung) verordnete “Zwangspause” eigentlich auch nicht so viel anders ist als ein Camino, eine Art Innerer Pilgerweg sozusagen. Denn die jetzige Ausnahmesituation wirft uns in vielerlei Hinsicht wie auch der Camino auf das Existenzielle zurück.

Was ist denn ein Innerer Pilgerweg?

Den Alltag verlassen
Wie auf dem Camino sind wir jetzt “verdonnert” (oder eingeladen, je nachdem wie man es sieht), unser “normales” geregeltes Leben, unsere Komfortzone, ein Stück weit hinter uns zulassen. In jedem Fall sind wir gefragt, unsere sozialen Kontakte, zumindest die persönlichen, auf ein Minimum zu reduzieren, zahlreiche Freizeitaktivitäten (Kino, Kneipen, Sportvereine) fallen flach. So mancher von darf zusehen, wie die Kinder-betreuung organisiert wird, andere müssen oder dürfen ihre Arbeit ins Homeoffice verlegen.
So ist bei der Bewältigung mancher sich aus der Situation ergebender Umstände Kreativität gefragt.

Gleichzeitig bietet sich wie auch auf dem Camino die unerwartete Gelegenheit, uns selbst, die uns umgebenden Menschen auf eine ganz neue Art kennenzulernen.
Oder vielleicht lernst Du auch ganz neue Nachbarn kennen? Oder Du entdeckst auf einem Spaziergang völlig neue Ecken Deiner Nachbarschaft?
(Anmerkung: Zum Zeitpunkt des Schreibens gibt es in Deutschland keine offizielle Ausgangssperre)

Sich auf das Wesentliche besinnen

Auf dem Pilgerweg ist das Wesentliche: Aufstehen, Rucksack packen, Gehen, Essen, Gehen, evtl. Cafe con leche (Milchkaffee), Gehen, ein Bett & eine Dusche finden, Essen, evtl. ein Vino (Wein), Schlafen. Da capo. Ach ja, die gelben Pfeile selbstverständlich noch, und vermutlich auch die Weggefährten.

Was ist jetzt in dieser Situation das Wesentliche für Dich? Wer oder was trägt Dich wirklich in und durch diese Zeiten? Sicherlich auch: Essen, ein Bett, eine Dusche. Wer oder was noch? Und vor allem Warum? (gehört der Rotwein wirklich-wirklich dazu?)
Und was ist alles in Deinem “Rucksack” drin – also das, was Du alles zu Hause herumliegen hast? Was davon brauchst Du wirklich – und wozu?

Vielleicht ist gerade jetzt eine gute Gelegenheit, Kleiderschrank, Keller und Messenger-Kontakte auszumisten und einen “symbolischen Stein” abzulegen, irgendwo, wo Du demnächst mal vorbei kommst (das muss gar nicht immer ein Steinkreuz oder Cruz de Ferro sein, manchmal reicht auch ganz unromantisch ein Altkleidercontainer oder ein Wertstoffhof 🙂 )
Manchmal darf es aber auch ein Vergebens-Ritual sein – so wie viele Pilger es am Leuchtturm in Finisterre machen. Falls Du Ideen brauchst, rufe oder schreib mich gerne an.

Nicht vergessen: Dankbarkeit

So wie es auf dem Camino immer wieder Leute gibt, die mehr oder weniger ehrenamtlich dafür sorgen, dass wir ein Bett und was zu Essen bekommen und die uns den Rücken frei halten, dass wir den Weg überhaupt gehen dürfen, gibt es auch jetzt unzählige Menschen, die dafür sorgen, dass sich das Chaos in Grenzen hält: Polizeibeamte, Ärzte & Pflegepersonal, Rettungsdienstler, Supermarktpersonal, Lkw-Fahrer, nicht zu vergessen die Angestellten von Strom- und Wasserversorgern sowie Abfallwirtschaft oder auch die ganzen Menschen, die sich gerade darum kümmern, dass unsere stornierten Reisen wieder rückabgewickelt werden (und dabei u.U. riskieren, dass ihr Arbeitgeber im blödesten Fall insolvent wird?)

Viel Zeit haben – aber Zeit wofür?
Gleichzeitig führt das dazu, dass viele andere beispielsweise durch den Wegfall von Treffen oder Arbeitswege auf einmal eine ganze Menge mehr Zeit haben. Was des einen Freud – endlich mehr Zeit für sich selbst zu haben, für einen Spaziergang, fürs Gebet oder auch einfach für Dinge, die schon lange liegengeblieben und aufgeschoben wurden, seien es nützliche Dinge (wie die Steuererklärung) oder Besinnliches (wie der Bücherstapel der schon seit Jahren gelesen werden wollte) …
Für andere wiederum mag natürlich die viele Zeit und auch ggf. das ungewollte Alleinsein eine Belastung sein. Vielleicht hilft Dir dann der nächste Punkt:

Den Weg als Spiegel nehmen

Auch ich hab sehr am Anfang mit der ganzen Sitation gehadert, und hab mich gefragt, warum. Meine Antworten waren: weil ich es hasse, nicht frei entscheiden zu können. Vor allem mag ich es nicht, Dinge zu tun, von denen andere meinen, sie wären “nur zu meinem Besten”.
Nun ja, wie sagte Bob Marley so schön: Liebe das Leben, das du lebst. Lebe das Leben, das du liebst“. Den Widerstand aufzugeben, gegen das, was ich ohnehin nicht ändern kann, setzt Kräfte frei, um das Beste aus der Situation zu machen (z. B. lesen, gemeinsam Kochen, gemeinsam puzzeln oder Spiele Spielen, … ). Oder eben zumindest das Nützliche zu tun (siehe oben: Aufräumen, Bügeln, Steuererklärung).

Wie auf dem Jakobsweg auch ist die Konfrontation mit sich selbst und der Warum-ist-das-so-Frage nicht immer angenehm. Die Erkenntnisse, die Du aus der ehrlichen Beantwortung gewinnst, bieten Dir wertvollen Input für Deine persönliche Weiter-entwicklung. Quasi wie der Muskelkater von den ungewohnten Bewegungen in den ersten paar Tagen. Die ersten drei Tage sind bekanntlich die schlimmsten – danach läuft’s besser und entspannter.

Corona heißt die Krone oder der Thron. Schnapp sie Dir!

Nicht zuletzt…

…heißt das spanische Wort Corona übrigens auch Krone oder Thron. Wie wäre es, wenn wir alle wieder unseren persönlichen Thron einnehmen und mehr König oder Königin in unserem eigenen Leben sein könnten: selbstbestimmt, herzverbunden und frei? In großen Visionen denkend anstatt im täglichen Klein-Klein gefangen? Wäre das nicht irgendwie – fast schon wie auf dem Jakobsweg?

So wünsche ich Dir, wie immer, wenn Du meinem Podcast schon gefolgt bist: Buen Camino – einen guten Weg und eine gesunde Zeit. Und vor allem, dass Du mit viel Klarheit und gestärkt in Deinem Herzen durch die kommenden Wochen kommen mögest. Was auch immer sie Dir persönlich und uns gesellschaftlich bringen mögen.

Deine Christina Bolte

 

PS: Was den Jakobsweg betrifft – ich stelle mir das gerade ein wenig so vor wie eine Ampel. Im Moment steht sie gerade auf Rot – aber ganz sicher wird sie auch irgendwann wieder auf Grün umspringen.

 

Photocredits: www.stock.adobe.com / Freshidea

2 Replies to “Wo Du in Corona-Zeiten noch Pilgern kannst”

    1. Lieben Dank für Dein Feedback, N.!
      Freut mich, wenn ich Deine Gedanken ein wenig von all dem ablenken konnte, was derzeit ohnehin schon an Anstrengendem “im Raum” ist.
      Hab einen guten Weg, und hoffentlich auch bald wieder “in echt”.

      Alles Liebe & Ultreya,
      Christina

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert